Eine „längst überfällige Gründung“

Einmal ging es nicht nur um das Gedenken, Erinnern und Mahnen, sondern darum, wie viel die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) in Lüdenscheid in den vergangenen zehn Jahren mit ihren Veranstaltungen dazu beigetragen hat, dass der Holocaust nicht vergessen wird, und ein friedliches, respektvolles Miteinander in Lüdenscheid möglich ist. In der evangelischen Markuskirche fand der Festakt zum zehnjährigen Bestehen der GCJZ in Lüdenscheid statt – zahlreiche Wegbegleiter, Ehrengäste und Freunde der Gesellschaft feierten mit der Vorsitzenden Hella Goldbach diesen runden Geburtstag. Darunter waren unter anderem der Superintendent des evangelischen Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg sowie Mitglieder des Interreligiösem Forums, das sich in Lüdenscheid seit vielen Jahren für den Kontakt und den Austausch zwischen Christen, Juden und Muslimen einsetzt.

Hella Goldbach war es, die mit ihrem jahrzehntelangem Engagement – zunächst als „Filiale“ Hagener Gesellschaft – den Grundstein für die Gründung einer eigenen Gesellschaft in Lüdenscheid legte und diese bis heute als Vorsitzende prägt. Sie zählte in ihrer Begrüßungsrede etliche Veranstaltungen auf, mit denen sie in den vergangenen Jahrzehnten einen Beitrag zum christlich-jüdischen Dialog geleistet hat, und betonte, wie wichtig es gerade heute ist, vor Antisemitismus zu warnen. Goldbach erinnerte auch an die jährlichen Gedenkveranstaltungen zum Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz und zur Pogromnacht 1938, bei denen unter anderem Inszenierungen von Rudolf Sparing und dem Ensemble K „einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen haben“, und an Gäste in Lüdenscheid wie die Auschwitz-Überlebende Anita Lasker-Wallfisch, den ehemaligen Rapper Ben Salomo, die mit ihren Berichten gerade auch viele junge Menschen erreicht haben. Auch Martin Bormann junior, den Sohn von Hitlers Sekretär, hat sie einst nach Lüdenscheid geholt, damals noch unter dem Dach der Hagener Gesellschaft.

Dr. Christoph Münz

Veranstaltungen wie diese, gepaart mit Hella Goldbachs unermüdlichem Engagement und wiederholten Kontroversen mit der „Mutter“ in Hagen, seien Gründe dafür gewesen, dass die Gründung einer eigenen Gesellschaft in Lüdenscheid 2015 „längst überfällig“ gewesen sei, betonte Festredner Dr. Christoph Münz aus Dillenburg. Er war zu der Zeit Vorstandsmitglied im Deutschen Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (DKR) und hat Hella Goldbach zu diesem Schritt ermuntert. In seiner Festrede ging er der Frage nach, warum es Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Deutschland gibt und warum sie ein Erfolgsmodell sind – auch heute noch. „Es grenzt an ein Wunder“, dass bereits 1948 die erste Gesellschaft gegründet worden sei, betonte er. Ausgegangen sei die Initiative von Bürgern, die nach den schrecklichen Ereignissen der NS-Zeit ein Zeichen für Frieden und Verständigung setzen wollten. Münz sprach von der größten Bürgerinitiative in Deutschland mit inzwischen mehr als 80 Gesellschaften und rund 20 000 Mitgliedern. Dieses Netzwerk habe dem Kulturverlust der NS-Zeit eine realistische Zukunftshoffnung entgegen gestellt, die nach dem Holocaust undenkbar schien.

Angesichts eines wieder zunehmenden Antisemitismus’ und Antizionismus’ in Deutschland steckten viele Mitglieder heute allerdings in einem Dilemma zwischen Resignation, ob alle Anstrengungen für Aufklärung, Erinnerung und Verständigung umsonst gewesen seien, und einer trotzigen „Jetzt erst recht“-Haltung. Münz ermutigte seine Zuhörer, nicht zu resignieren: „Lassen Sie sich nicht beirren, auch wenn das Ziel in weitere Ferne gerückt sein mag.“ Dazu zitierte er den Schriftsteller Max Frisch: „Die Nähe oder Ferne eines Ziels ändert nichts an der Richtung.“

Bürgermeister Sebastian Wagemeyer

Bürgermeister Sebastian Wagemeyer hatte in seinem Grußwort ähnlich argumentiert: Er bedankte sich bei der Gesellschaft und vor allem bei Hella Goldbach für dieses Engagement für ein friedliches und respektvolles Miteinander in der Stadt. Dabei erinnerte er sich auch an persönliche Begegnungen, unter anderem im Zusammenhang mit dem Besuch von Anita Lasker-Wallfisch in Lüdenscheid. Damals war Wagemeyer noch Schulleiter des Zeppelin-Gymnasiums. Er betonte: Angesichts faschistischer Tendenzen in vielen westlichen Demokratien, müsse man gemeinsam alles daran setzen, dieses „Riesengeschenk“, in Freiheit und Demokratie groß geworden zu sein, nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen. „Es braucht eine klare Haltung“, um all das zu bewahren, „was wir uns aufgebaut haben.“

Dank an das Vorstandsteam

Hella Goldbach ihrerseits bedankte sich bei beiden Rednern für ihre Unterstützung und vergaß auch nicht ihr Vorstandsteam. Für jeden ihrer Mitstreiter hatte sie ein kleines Präsent.

Begleitet wurde der Festakt von Sebastian Schultz, Pfarrer der Markuskirche, mit einer mitreißenden Andacht über das Bild „Der verlorene Sohn“ des jüdischen Künstlers Marc Chagall. 

Musikalisch gratulierten die „Queen of Klezmer“ Irith Gabriely und ihre Formation Colalaila mit Peter Przystaniak am Klavier und Mezzosopranistin Anja Stroh zum zehnten Geburtstag. Sie spielten passend zum Anlass schwungvolle Melodien wie „Wenn ich einmal reich wär“ aus dem Musical „Anatevka“ und eine Auswahl christlich-jüdischer Liebeslieder, wie es Irith Gabriely selbst beschrieb.

Text: Bettina Görlitzer

Fotos: StefanSchick