„Menschenrechte leben – der Beitrag der Religionen“

Unter dem Thema „Menschenrechte leben – der Beitrag der Religionen“ fand das Friedensgebet des Interreligiösen Forums 2024 im Lüdenscheider Rathaus statt.

Beitrag der Lüdenscheider Nachrichten Zum Friedensgebet:

Nach Informationen, Gebeten und Musik gab es noch Gelegenheit zum Austausch an Stehtischen, von dem reichlich Gebrauch gemacht wurde. Dabei konnte sich auch jeder Gast an einem kleinen Buffet bedienen. Den Abschluss des Abends gestaltete Superintendent Dr. Christoph Grote.

Beitrag von Achim Riggert:

Für meinen Beitrag aus evangelisch-christlicher Perspektive habe ich den Art. 14 der MR ausgesucht – u.a. weil dieser jetzt besonders aktuell ist.

In diesem Art. geht es um das Grundrecht auf Asyl in einem anderen Land, wenn man im eigenen Land aus politischen oder anderen Gründen verfolgt wird.

Wörtlich heisst es in dem Artikel:

Artikel 14

1. Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen.

2. Dieses Recht kann nicht in Anspruch genommen werden im Falle einer Strafverfolgung, die tatsächlich auf Grund von Verbrechen nichtpolitischer Art oder auf Grund von Handlungen erfolgt, die gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen verstoßen.

Dieses Grundrecht wurde von den Vereinten Nationen vor allem auf dem Hintergrund der nationalsozialistischen Diktatur, des Zweiten Weltkriegs und der mit ihm verbundenen Flüchtlingsbewegungen formuliert. Es wurde allerdings nur selten so wortwörtlich in nationales Recht überführt. Eine Ausnahme bildete die Bundesrepublik Deutschland. In deren Grundgesetz wurde 1948/49 dieses Grundrecht 1:1 übernommen: Artikel 16, Absatz 2, Satz 2, „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“.

Ich denke, dies ist – gerade auf dem Hintergrund des II. Weltkrieges – ein hohes Gut, das allerdings gerade in diesen Tagen gefährdet ist. Ich komme gleich darauf zurück.

Davor möchte ich jetzt auf das eigentliche Thema eingehen, nämlich die Frage, wie die jüdisch-christliche Tradition zu diesem Menschenrecht steht und was sie insgesamt zum Thema Flucht und Vertreibung sagt und auch fordert.

Die Grundtendenz in dieser Hinsicht ist eindeutig. Das Thema Flucht und Vertreibung ist von Anfang an ein zentrales Thema, das die gesamte Geschichte des Volkes Israel und der christlichen Gemeinde prägt:

Bereits Abraham, der Erzvater von Juden, Christen und Muslimen war ein Migrant: Er wanderte auf Gottes Geheiß aus seinem Heimatland nach Kanaan, in das gelobte Land, in dem er zunächst ein Fremder war. Weiterhin wanderten die Israeliten auf Grund einer Hungersnot nach Ägypten aus, waren dort Fremde und wurden versklavt. Eine bittere, prägende Erfahrung! Viele weitere Migrationsgeschichten, die in der hebräischen Bibel erzählt werden, ließen sich anfügen. Aber auch in der christlichen Geschichte im engeren Sinne ging es in gleicher Weise weiter: Jesus wurde nach der Überlieferung unterwegs, auf der Flucht geboren. Später, als wandernder Prediger, hatte Jesus – wie die Evangelien bezeugen – „keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen konnte (Mt 8,20). Ebenfalls wurden schon die Mitglieder der ersten Gemeinde in Jerusalem auf Grund ihres Glaubens verfolgt und mussten in die umliegenden Gebiete fliehen (Act 8, 1). In einem der Briefe im NT werden die Christen als „auserwählte Fremdlinge“ angesprochen (1. Petr. 1,1), was die große Vertrautheit der frühen Christen mit Erfahrungen von Anders- und Fremdsein anzeigt.

Aus all diesen Erfahrungen sind wichtige Grundsätze und Regeln zum Umgang mit Menschen aus anderen Ländern und Kulturen erwachsen, die allesamt in der Bibel stehen. Ich möchte einige kurz wiedergeben und erläutern:  

Im Buch Exodus, das die Geschichte vom Auszug der Israeliten aus Ägypten und u.a. der Gesetzgebung erzählt, findet sich das klare Gebot: „Die Fremdlinge sollst du nicht bedrängen und bedrücken; denn ihr seid auch Fremdlinge in Ägyptenland gewesen.“ (Ex 22, 20) Oder anders formuliert: „Die Fremdlinge sollt ihr nicht unterdrücken; denn ihr wisset um der Fremdlinge Herz, weil ihr auch Fremdlinge in Ägyptenland gewesen seid.“ (Ex 23, 9). Hier wird die besondere Verantwortung gegenüber ausländischen Mitbürgern konsequent mit der Erinnerung an die eigene Erfahrung der Vorfahren begründet (s. Asylrecht der BRD – NS-Geschichte!).

In den folgenden Büchern Mose werden mit der gleichen Begründung noch weitere Aspekte ergänzt: „Der Fremdling soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; (…) (Lev. 19, 34). Und: „Einerlei Gesetz, einerlei Recht soll gelten für euch und den Fremdling, der bei euch wohnt.“ (Num 15, 16).

In den Prophetenbüchern der hebräischen Bibel, die ja auch für uns Christen Grundlage unseres Glaubens ist, wird das Rechttun ggü. ausländischen Mitbürgern direkt als echter Gottesdienst bezeichnet – im Gegenüber von nur äüßerlichen, frommen Ritualen. Hier wird also die zentrale religiöse Bedeutung dieses Rechttuns herausgestellt! Es ist unmittelbar Gottesdienst!

Ebenso wird – sowohl im AT (1. T) als auch im NT – die besondere Bedeutung von Gastfreundschaft betont, was insbesondere auf eine berühmte Episode zurückgeht, in der Abraham und seine Frau drei Männer bewirtet haben, die sich dann als Boten Gottes herausstellten (Gen 18, 1-8).

Schließlich identifiziert Jesu sich in einer berühmten Rede, von der in einem unserer Evangelien erzählt wird (Mt), unmittelbar u.a. mit ausländischen Mitbürgern. Zu Christen, die sich um sie kümmern, sagt er: „Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich aufgenommen.“ Hier, in diesem Kümmern, in dieser Form der Nächstenliebe geht es also für Christen direkt um Jesus selbst, um die Begegnung und Verbindung mit ihm, und damit auch mit Gott. Beides ist nicht zu trennen.

Dieser Gedanke – und die anderen biblischen Weisungen – haben das christliche Handeln für und mit Migranten und Flüchtlingen immer wieder entscheidend motiviert.
Sie stehen im Hintergrund von vielen Flüchtlingsinitiativen, von mahnenden Stellungnahmen und auch einer Praxis wie das Kirchenasyl, das auf eine sehr alte Tradition zurückgeht.

Was bedeutet das jetzt, für die aktuelle Diskussion zum Thema Migration und Asyl?

Im Unterschied zu 2015, wo es eine große Aufnahmebereitschaft von vielen Menschen gab, hat sich die Stimmung ja deutlich gewandelt. Jetzt ist hauptsächlich von drohender Überforderung und dementsprechender Begrenzung der Zuwanderung die Rede. Bis dahingehend, dass das Grundrecht auf Asyl und seine humane Umsetzung durch Vorschläge von Obergrenzen, Verlagerung in Drittstaaten, Kasernierung an Grenzen u.ä. ausgehöhlt wird.  

Dabei gibt es sicher auch berechtigte Aspekte: Begrenzung ist notwendig, um insbesondere die Kommunen nicht zu überfordern und Integration möglich zu machen. Und auch der Art. 14 der MR legt ja ein klare Haltung gegenüber Straftätern nahe.

Ansonsten sehe ich die klare Aufgabe von Christen in dieser Zeit darin, sich deutlich für die Beibehaltung einer humanen und menschenrechtskonformen Gesetzgebung einzusetzen. Und insbesondere Widerstand gegen inhumane Forderungen von rechts zu üben!

Dies ist für mich sowohl ein Gebot des Glaubens als auch ein Gebot der Vernunft. Dazu zum Schluß ein Zitat von Pro Asyl:

Lautstarke Parolen und vermeintlich einfache Lösungen helfen niemandem weiter, sondern sind eine Gefahr für uns alle: Sie führen dazu, dass die Gültigkeit der Menschenrechte für alle in Frage gestellt wird. Angesichts einer solchen Gefahr sollten wir für ein paar Flüchtlinge weniger und ein paar Abschiebungen mehr nicht weiter an ihnen (i.e. den MR)  rumsäbeln. Die Menschenrechte sind universell und müssen das auch bleiben.

Papst Franziskus:

„Verfallen wir nicht in die Gleichgültigkeit, die erniedrigt, in die Gewohnheit, die das Gemüt betäubt und die verhindert etwas Neues zu entdecken, in den Zynismus, der zerstört. Öffnen wir unsere Augen, um das Elend dieser Welt zu sehen, die Wunden so vieler Brüder und Schwestern, die ihrer Würde beraubt sind. Fühlen wir uns herausgefordert, ihren Hilfeschrei zu hören. Unsere Hände mögen ihre Hände erfassen und sie an uns heranziehen, damit sie die Wärme unserer Gegenwart, unserer Freundschaft und unserer Brüderlichkeit verspüren.“ Papst Franziskus

Gebet (nach Vorlage Walter Bartels)

 Gott, manchmal so unbegreiflich und dann doch wieder zum Greifen nah. Wir suchen dich im Himmel und übersehen dich auf der Erde. Wir spannen dich ein für unsere Wünsche und Ziele und vergessen, dass deine Güte hinausgeht über unseren Horizont. So machen wir dich klein, und unsere Vorstellung von dir wird armselig. Weite unseren Blick. Öffne unser Herz. Lass uns groß von dir denken. Weil selbst der Erdkreis dir, dem Freund aller Menschen, keine Grenze ist, bitten wir dich: Herr, erbarme dich!
 

Wir denken in diesen Tagen an die Kinder und Jugendlichen, die von weit her zu uns kommen: auf dem Arm, auf dem Rücken ihrer Eltern oder unbegleitet, übers Meer und auf endlosen Fußwegen. Wir denken an all die Frauen und Männer, die angstvoll unterwegs sind. Nicht auszudenken, was sie erlebt und gesehen haben. Stelle uns einen Menschen, eine Familie vor Augen unter all den vielen. Gib uns ein Gespür für das Leid und für die Angst, die sie aus ihren Ländern vertrieben haben. Wir bitten: Herr, erbarme dich.

Wir bitten für Menschen in Politik und Verwaltung, die mit Flüchtlingen zu tun haben. Gib Weitsicht und Umsicht bei ihren Planungen, Phantasie für menschengerechte Lösungen. Mach sie immun gegen populistische, inhumane Parolen. Bewahre sie vor Müdigkeit, Überforderung und Zynismus bei ihrer großen Aufgabe. Lass sie Anerkennung finden für ihren Einsatz, für das, was gelingt an Hilfe und Erleichterung. Wir bitten: Herr, erbarme dich.

Wir bitten für alle in unsere Gemeinden in dieser Stadt und im ganzen Land, die sich aus ihrem Glauben und ihrer Liebe für ihre Nächsten für Geflüchtete einsetzen, die freiwillig aktiv sind und Hilfe organisieren; für die, die sich verwickeln lassen in die Geschichte zu uns kommender Menschen: dass sie bei Kräften und guten Mutes bleiben; dass sie sich freuen über gelungene Schritte; dass sie sich nicht übernehmen, sondern auch auf Grenzen achten. Wir bitten: Herr erbarme dich.

Gott, wir danken für alle guten Zeichen Deiner Gegenwart unter uns; für die ausgestreckten Hände, für tröstende Gemeinschaft; für die Schönheit erlebter Mitmenschlichkeit; für jeden warmherzigen Blick; für die Erfahrung, wenn aus Fremden Freunde werden. Stärke und ermutige uns dadurch auf dem Weg der Liebe und der Solidarität zu bleiben.
Amen.