Am Donnerstag, dem 20. Juni 2019, hatte das Interreligiöse Forum Lüdenscheid seinen ersten Auftritt bei einem Kirchentag.

Im „Weltgarten“, für die vielen ausländischen Gäste in diesem Bereich auch „Global Garden“ genannt, stellte das IFL sich und seine Arbeit vor.

Christa Bätz, Frank Droste, Achim Riggert und Cengis Varli hatten sich mit einigen Begleitern auf den Weg nach Dortmund gemacht, und sie wurden unterstützt von Carmen Dietrich und Gregor Mertens, die mit dem großen rollbaren „Engel der Kulturen“ für die Dauer unserer Präsentation zur Bühne kamen.

Achim Riggert stellte die Entstehung, die Arbeit und Ziele des IFL vor, danach Dr. Reinhard Kirste den „Engel der Kulturen“.

Christa Bätz sang mit den Zuschauern ein Friedenslied in arabischer und in deutscher Sprache:
Du Gott des Friedens, gieß deinen Frieden auf uns,
Du Gott des Friedens, fülle mit Frieden unser Herz.

Im Anschluss stellten Christa Bätz als Erzählerin, Frank Droste als Nathan der Weise und Cengiz Varli als Sultan Saladin in einer szenischen Lesung die Ringparabel aus dem Drama „Nathan der Weise“ von Gotthold Ephraim Lessing dar.

Sehr eindrucksvoll war auch die Koranrezitation von Cengiz Varli, der zu Ahmadiyya-Gemeinde gehört. Er rezitierte einen Vers aus Sure 5, der inhaltlich wie ein Fazit der Ringparabel verstanden werden kann.

 

 

Szenische Lesung der Ringparabel beim Kirchentag in Dortmund 20.6.19

ERZÄHLERIN

Die Ringparabel, die Sie jetzt in gekürzter Form hören werden, ist der bekannteste Teil aus dem Drama „Nathan der Weise“ von Gotthold Ephraim Lessing, das er 1779 veröffentlichte.

Der aufgeklärte, freigeistige Theologe, Philosoph und Schriftsteller legte sich mit der Kirche und mit der Obrigkeit an.Er verleugnete nie sein umfassendes aktives Toleranzverständnis.Es war vom Engagement für die Gleichheit aller Menschen im Sinne einer großen Familie geprägt.Diesem Ziel könnten und sollten nach seiner Meinung auch die Religionen dienen.
Lessings Veröffentlichen der bibelkritischen Äußerungen seines Freundes Reimarus führten zu einem erbitterten Streit mit dem Hamburger Hauptpastor Goeze.Daraufhin belegte ihn sein Dienstherr, der Herzog von Wolfenbüttel, mit einem Schreibverbot in religiösen Dingen. Der gedemütigte Lessing wagte nun, das Theater zu seiner Kanzel zu machen: „Ich muss versuchen, ob man mich auf meiner alten Kanzel, auf dem Theater wenigstens noch ungestört wird predigen lassen.“ Und so brachte er seine Haltung mit dem weltberühmten Theaterstück Nathan der Weise zum Ausdruck und sozusagen auf die Kanzel.

Die beiden Hauptfiguren, die Sie jetzt im Gespräch miteinander hören werden, sind der Jude Nathan und der Sultan Saladin. Die Handlung spielt zur Zeit des Dritten Kreuzzugs Ende des 12. Jahrhunderts in Jerusalem. Die Ringparabel ist über die Jahrhunderte aktuell geblieben – in unserer Zeit vielleicht aktueller denn je.

NATHAN

Vor grauen Jahren lebt‘ ein Mann in Osten, der einen Ring von unschätzbarem Wert

aus lieber Hand besaß. Der Stein war ein Opal, der hundert schöne Farben spielte,

und hatte die geheime Kraft, vor Gott und Menschen angenehm zu machen, wer in dieser Zuversicht ihn trug. Was Wunder, dass ihn der Mann in Osten darum nie vom Finger ließ; und die Verfügung traf, auf ewig ihn bei seinem Hause zu erhalten?

ERZÄHLERIN

So beginnt die Parabel, mit der Nathan der Weise die Frage des Sultans Saladin, ob Judentum, Christentum oder Islam die wahre Religion sei, beantwortet. Saladin hat Nathan gefragt:

SALADIN

Da du nun so weise bist: so sage mir doch einmal – was für ein Glaube, was für ein Gesetz hat dir am meisten eingeleuchtet?…

Von diesen drei Religionen kann doch eine nur die wahre sein. Ein Mann, wie du, bleibt da

nicht stehen, wo der Zufall der Geburt ihn hingeworfen: oder wenn er bleibt, bleibt er aus Einsicht, Gründen, Wahl des Besseren.

Wohlan! So teile deine Einsicht mir dann mit. Lass mich die Gründe hören, denen ich selber nachzugrübeln, nicht die Zeit gehabt. Lass mich die Wahl, die diese Gründe bestimmt, wissen, damit ich sie zu meiner mache.

ERZÄHLERIN

Und so setzt der Weise Nathan die Geschichte fort:

Der Vater gab den Ring von seinen Söhnen dem liebsten und ordnete an, dass dieser wiederum den Ring vo, so dass stets dieser nur der Fürst des Hauses wern seinen Söhnen dem vermache, der ihm der liebste seide.

So ging dieser Ring von Sohn zu Sohn und kam schließlich zu einem Vater von drei Söhnen, die ihm alle gleichermaßen lieb waren.

Als er im Sterben lag, kam der gute Vater in Verlegenheit, denn jedem seiner Söhne hatte er den Ring versprochen, und nun wollte er keinen von ihnen enttäuschen oder kränken. Da ließ er sich von einem Künstler zwei weitere Ringe nach dem Muster seines eigenen machen.

Als dieser ihm die drei Ringe brachte, konnte selbst der Vater seinen Musterring nicht mehr von den beiden anderen unterscheiden. Froh rief er seine Söhne, einen nach dem anderen, gab jedem seinen Segen und seinen Ring – und starb.

Der Sultan unterbricht die Erzählung Nathans:

SALADIN

Komm mit deinem Märchen nun bald zu Ende. – Rede!

NATHAN

Ich bin zu Ende.

Denn was noch folgt, versteht sich ja von selbst.-

Kaum war der Vater tot, so kommt ein jeder mit seinem Ring, und jeder will der Fürst

des Hauses sein. Man untersucht, man zankt, man klagt. Umsonst; der rechte Ring war nicht erweislich;- fast so unerweislich, als

uns jetzt der rechte Glaube.

SALADIN

Wie, das soll die Antwort sein auf meine Frage?…

NATHAN

Soll mich bloß entschuldigen, wenn ich die Ringe mir nicht getrau zu unterscheiden, die

der Vater in der Absicht machen ließ, damit sie nicht zu unterscheiden wären.

SALADIN

Die Ringe! – Spiele nicht mit mir! – Ich dächte,

dass die Religionen, die ich dir genannt, doch wohl zu unterscheiden wären.

Bis hin zur Kleidung, bis zu Speis und Trank!

NATHAN

Und nur von Seiten ihrer Gründe nicht. –

Denn gründen alle sich nicht auf Geschichte?

Geschrieben oder überliefert! – Und Geschichte muss doch wohl allein auf Treu und Glauben angenommen werden? – Nicht? –

Nun, wessen Treu und Glauben zieht man denn am wenigsten in Zweifel? Doch der Seinen?…

Wie kann ich meinen Vätern weniger als du den deinen glauben? Oder umgekehrt. –

Kann ich von dir verlangen, dass du deine Vorfahren Lügen strafst, um meinen nicht

zu widersprechen? Oder umgekehrt. Das gleiche gilt von den Christen. Ist es nicht so?

ERZÄHLERIN

Und so setzt der weise Nathan die Geschichte fort:

Die drei Söhne verklagten einander und jeder schwor dem Richter, den Ring aus der Hand des Vaters erhalten zu haben, was ja auch stimmte.

Jeder beteuerte, der Vater könne gegen ihn unmöglich unaufrichtig gewesen sein, eher müsste man den anderen Brüdern misstrauen.

Der Sultan unterbricht die Erzählung Nathans:

SALADIN

Und nun, der Richter? – Mich verlangt zu hören, was du den Richter sagen lässtest. Sprich!

NATHAN

Der Richter sprach:…Denkt ihr, dass ich Rätselzu lösen da bin? Oder harret ihr,

bis dass der rechte Ring den Mund eröffne? –

Doch halt! Ich höre ja, der rechte Ring besitzt die Wunderkraft beliebt zu machen;

vor Gott und Menschen angenehm.
Das muss entscheiden! Denn die falschen Ringe werden doch das nicht können!…

Mein Rat ist der: ihr nehmt die Sache völlig wie sie liegt. Hat von euch jeder seinen Ring von seinem Vater: so glaube jeder sicher seinen Ring den echten….Wohlan!

Es eifre jeder seiner unbestochenen von Vorurteilen freien Liebe nach!

Es strebe von euch jeder um die Wette, die Kraft des Steins in seinem Ring an Tag

zu legen! Komme dieser Kraft mit Sanftmut, mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun,

mit innigster Ergebenheit in Gott zu Hilf‘!

Und wenn sich dann der Steine Kräfte bei euern Kindes-Kindeskindern äußern:

so lad ich über tausend tausend Jahre sie wiederum vor diesen Stuhl.
Da wird ein weis‘rerMann auf diesem Stuhle sitzen als ich; und sprechen.

Geht! – So sagte der bescheid‘ne Richter.